Neujahrsempfang 1883 am sächsischen Königshof in Dresden

Bericht von Otto Christian Ludwig Viktor Stegemann (1862 - 1941)

"Am I. Januar 1883 nahm ich zum ersten Male an der großen Neujahrscour in Dresden teil. Da in der Familie niemand mehr lebt, der dies Fest mitgemacht hat, und da solche Feste niemals wieder in der Form und in dem Glanze aufleben werden, dürfte es wohl interessieren, wenn ich eine kurze Beschreibung gebe. An diesem Tage gratulierte das ganze Land dem Könige zum neuen Jahre. Aus dem ganzen Lande kamen die "hoffähigen" Beamten und die Offiziere nach Dresden. Aus allen Richtungen erschienen sie in Galauniform mit den Frühzügen, ließen sich beim Friseur verschönern, trafen sich mit Berufsgenossen, suchten Verwandte und Bekannte in Dresden auf und versammelten sich dann im Schloß. Die Stadt war festlich geschmückt, die Wache im Paradeanzug aufgezogen. Droschken und Equipagen fuhren nach allen Richtungen - Straßenbahnen, Autos usw. gab es noch nicht - dazwischen die königlichen Galakutschen und "Portechaisen". Einzelne hohe Würdenträger oder einzelne würdige hohe Damen ließen sich in einer Sänfte von zwei kräftigen Chaisenträgern ins Schloß tragen und wurden vom Publikum in ihrem Glaskasten tüchtig angestaunt.

Die Gratulation bestand darin, daß König und Königin, später der König allein, im Thronsaal vor einem Baldachin standen, umgeben von seinem Hofstaat, und die Gratulanten an ihm einzeln mit 3 Schritt Abstand vorbeidefilierten, dabei vor ihm Halt machten, sich zu ihm wendeten, eine tiefe Verbeugung machten, sodann rechts um und durch Weitergehen dem Nächsten Platz machten. Die Reihenfolge war genau festgelegt. Soweit ich mich besinne, begann die katholische Geistlichkeit, dann der Hofstaat, die Fürstlichkeiten einschließlich der in Sachsen wohnenden Mediatisierten, die Diplomaten, die Minister, die hoffähigen Beamten nach der Hofrangordnung, die inaktiven Offiziere und zum Schluß die Offizierskorps regimenterweise, die Sanitätsoffiziere, die höheren Militärbeamten und als Letzter der Vertreter der Roßärzte (Veterinäroffiziere), der Korpsroßarzt Jacob.

König Albert, für den dies stundenlange Stehen und ununterbrochene Neigen des Kopfes bei jedem einzelnen als Dank für die Gratulation schließlich zu anstrengend wurde, soll deshalb in der Sehnsucht nach dem Ende mal gesagt haben: "Jacob, wo bist du?"

Bevor man in den Thronsaal kam, versammelte sich fast das ganze Offizierskorps der sächsischen Armee, nachdem man an den auf den Stufen der breiten Treppe stehenden Haiducken [ungarischer Soldat] mit ihren eigenartigen bunten Trachten und an der von den Gardereitern aufgestellten Ehrenwache vorbei gegangen war, im Tanzsaal. In einem lebensgefährlichen Gedränge suchte man Anschluß an die anderen Offiziere des Regimentes zu bekommen und rief Bekannten und Unbekannten "Prost Neujahr"' zu. Ganz langsam schob sich die Menge vorwärts und mußte noch mehrere Türen passieren, ehe der Thronsaal erreicht war. Vor diesem ordnete der Regimentskommandeur sein Offizierskorps streng nach der Anciennität [Dienstalter], und nun folgten sich die einzelnen Offiziere mit 3 Schritt Abstand, um durch einen anderen Ausgang aus dem Thronsaal wieder zu verschwinden.

Man ging zum Essen zu Verwandten oder Bekannten oder in ein Offizierskasino der Garnison, wenn man eingeladen war, oder in ein Restaurant usw., wo überall Festtagsmenüs vorgesehen waren. An dem Tage waren alle Geschäfte geöffnet, die von ihm vielleicht den größten Verdienst des Jahres erwarten durften, Militäreffektenhändler, Handschuhmacher, Schuster, Schneider, Friseure, denn dieser Tag brachte nicht nur die Gratulanten im Schlosse, sondern das Heer der Zuschauer an diesem höfischen Pomp und militärischen Glanz nach Dresden. Alle verbanden dabei das Angenehme mit dem Nützlichen. Überall wurde gut gegessen und getrunken, und die Dresdner Geschäftsleute, die nicht zu weit vom Schlosse oder Bahnhof ihr Geschäft betrieben, hatten glänzende Einnahmen.

Am gleichen Tage fand des Abends die Assembleé statt. Dazu erschienen dieselben Menschen wie mittags. Dazu aber auch die bei Hofe vorgestellten Damen, diese in prachtvollen Toiletten mit langen Courschleppen, auf dem Kopfe Diademe, um den Hals wertvolle Ketten, an den Schultern Agraffen, an den Armen kostbare Armbänder, kurz der kostbare Schmuck strahlte und glitzerte am ganzen Körper. Alles versammelte sich im Tanzsaal. Alle Säle erstrahlten im Lichte der Kerzen, die sich in den tausend und abertausend Prismen der prächtigen Kristallkronen brachen.

Die ausländischen Würdenträger, zum Teil interessante Figuren in malerischen Uniformen, übersät mit Orden und mit breitem Ordensband über die Brust, standen neben den Offiziersuniformen der sächsischen und anderen Armeen, neben den Vertretern der Johanniter- und Malteserorden und neben der sächsischen Hofuniform, der Uniform der Forst- und Bergleute und den Rektoren der Hochschulen mit ihren Ketten. Wenn der Landtag zusammengetreten war, sah man auch den schwarzen Frack in einzelnen Exemplaren. Die Pracht und der Glanz ist gar nicht zu beschreiben.

Noch war der Hof nicht erschienen, alles lief durcheinander, soweit ein Durchkommen möglich war, und tauschte Glückwünsche und Neuigkeiten aus. Dann klopfte der Oberhofmarschall mit seinem mächtigen Marschallstabe vernehmlich auf das Parkett, die Flügeltüren öffneten sich, die Hoftrompeter bliesen aus der hohen Trompeterloge einen Tusch, die ganze Versammlung verneigte sich unter tiefem Schweigen, und der Zug der Fürstlichkeiten betrat den Saal. Lakaien, Pagen, Kammerherren, Adjutanten, kurz, der ganze Hofstaat, schritten feierlich vor oder hinter den betreffenden Fürstlichkeiten. Die langen Courschleppen wurden von Pagen getragen. Die Offiziere stellten zuerst fest, welche Uniform der König angelegt hatte: ob die große Generalsuniform, oder die seiner Leibgrenadiere, oder die seines Gardereiterregimentes, oder die des ersten Husarenregimentes. König Friedrich August erschien auch mal in Artillerieuniform.

Die Fürstlichkeiten durchschritten auf die Weise den großen Tanzsaal, zeichneten in dem Porzellanzimmer und dem nächsten Bankettsaal einzelne Persönlichkeiten mit Ansprachen aus und ließen sich dann im Thronssaal an Spieltischen zum Whist nieder. Für den König und jeden Prinz waren drei Damen, für die Königin und jede Prinzessin drei Herren der Gesellschaft an ihren Tisch befohlen. Hinter den Fürstlichkeiten stand immer ein Kammerherr, der wohl der eigentliche Spieler war, denn die Fürstlichkeiten mußten dauernd die Augen aus ihren Karten auf die vorbeidefilierende Menge werfen. Sobald nämlich die Herrschaften sich zum Kartenspiel gesetzt hatten, setzte sich der Menschenstrom in Bewegung. Es bildeten sich Gruppen, die an den Spieltischen Halt machten, sich tief verneigten, wenn der Prinz oder die Prinzessin aus den Karten aufblickte, und zum nächsten Tisch weiter zogen, hier wieder auf die Gelegenheit warteten, sich verneigen zu dürfen, und so weiter, bis vorbei an allen Tischen. Am letzten saß der König.

Nach diesen Anstrengungen hatte man eine Stärkung am Buffet verdient. Wenn der Hof sich zurückgezogen hatte, wobei das Zeremoniell viel einfacher war, verlief sich die Menge. Man ging nach Hause, zum Bahnhof, in die Kneipe. Bei Kneist, dem damals beliebtesten Bierlokal, trafen sich viele Offiziere noch einmal, um das Neueste des Tages zu besprechen, und das waren die vermutlichen Veränderungen in der Armee, Versetzungen, Verabschiedungen und Beförderungen.
 

Anmerkung zu den Klassen am sächsischen Königshof

Ich nannte eben die "hoffähigen" Beamten. Dazu ist eine Erläuterung nötig, da es so etwas nicht mehr gibt. Alle Persönlichkeiten, abgesehen von Ausländern, für die andere Bestimmungen galten, die gesellschaftlich bei Hofe erscheinen durften, wurden nach der Hofrangordnung in fünf Klassen eingeteilt.

Zu der ersten Klasse gehörten die Fürstlichkeiten und solche Persönlichkeiten, die das Prädikat Exzellenz hatten, zur zweiten Klasse, die im Range der Generalmajore standen, zur dritten Klasse die im Range der Obersten und Oberstleutnants, zur vierten Klasse die im Range der Hauptleute und Majore, zur fünften Klasse die im Range der Oberleutnants und Leutnants.

In jeder Klasse gab es wieder zahlreiche Abstufungen, und wenn zwei Personen in der gleichen Rangstufe standen, dann hatte derjenige den Vortritt, der schon am längsten dieser Stufe angehörte.

Um ein Beispiel zu nennen: Als ich als Hauptmann ausschied und Intendanturrat wurde, blieb ich in der vierten Klasse der Hofrangordnung, rückte aber in ihr von Stufe 24 auf die Stufe 1, in der die Majore, Landgerichtsdirektoren, Superintendenten usw. waren; und als ich Oberintendanturrat wurde, rückte ich in die III. Klasse der Hofrangordnung in eine der letzten Stufen, in der die Oberstleutnants, Oberregierungsräte usw. waren.

Jeder, der bei Hofe ausging, mußte eine Uniform tragen. Für Offiziere, Militärbeamte, Forstleute usw. war es die betreffende Galauniform, alle anderen trugen eine eigene Hofuniform: dunkle Hose mit breiten goldenen Streifen, dunkelgrünen Frack, weiße Weste, weiße Binde, Galadegen, Dreimaster. Der grüne Frack war je nach der Hofrangordnung mit Gold bestickt, und zwar der der I. Klasse vorn und hinten über und über, bei den nächsten Klassen entsprechend weniger, sodaß der der V. Klasse nur etwas Stickerei an Kragen und Ärmeln zeigte.

Bei den Hoffesten speiste die I. und II. Klasse sitzend im Thronsaal, die II. Klasse stehend an den Buffets im Bankettsaal, die der IV. und V. Klasse stehend an den Buffets in der sogenannten Reitschule. Das Speisen stehend hatte seine Schwierigkeiten, denn wir hatten den Säbel umgeschnallt und mußten den Helm mit Busch in der Hand halten, hatten also nur eine Hand frei. Am Buffet seinen Teller oder Glas hinzusetzen, gelang nur selten, denn der Andrang war so stark, daß immer drei bis vier Reihen warteten, bis ein Platz so weit frei wurde, daß man an die Speisen gelangen konnte. Nur einige Unentwegte ließen sich durch nichts von dem am Buffet eroberten Platze verdrängen, ehe sie sich nicht dick und voll gegessen hatten. Ein frecher Leutnant, der lange vergeblich gewartet hatte, sagte da mal laut und vernehmlich, ohne jemanden anzusehen oder zu bezeichnen: "Sieh mal, wie das Schwein frißt!" Es brauchte sich ja niemand getroffen zu fühlen, aber die Wirkung war doch die, daß sich einige Herren getroffen fühlten und stillschweigend das Feld räumten und davonschlichen.

Bei den Damen, die bei Hofe verkehren wollten, war der Adel Vorbedingung, nur nicht, wenn der Ehemann der I. oder II. Klasse der Hofrangordnung angehörte. Eine von Geburt adelige Dame verlor die Hoffähigkeit, wenn sie einen nichtadligen Herrn aus der III. bis V. Klasse der Hofrangordnung heiratete. Mann und Frau hatten sich vielleicht bei Hofe kennen gelernt, er ging weiter zu Hofe und sie durfte nicht mehr erscheinen. Der Königliche Flügeladjutant S. hatte bei Hofe eine Freiin von H. kennengelernt und geheiratet. Da verschwand sie aus der Hofgesellschaft, bis der König seinen Adjutanten fragte, weshalb seine Frau denn nicht mehr zu sehen wäre. Aus dem Major S. wurde ein Major von S., und seine Frau war wieder hoffähig. Später wurden auch da Änderungen vorgenommen."
 
 
 

Erstellt am : 24.01.2002
Last Update : 26.01.2002