Badeurlaub auf Norderney
um 1865

Das Reisen war im 19. Jahrhundert noch nicht allgemein üblich, und von Tourismus konnte absolut keine Rede sein. Deswegen war es damals ein herausragendes Ereignis, wenn die Familien Stegemann und von der Beck ihre Koffer gepackt haben und von Stade bzw. Bückeburg aus losfuhren, um auf Norderney Urlaub zu machen.

Aus dem Bericht meines Urgroßvaters, Otto Christian Ludwig Viktor Stegemann:

"Eine Reise aber wiederholte sich häufig, nämlich nach Norderney, das meine Mutter [Auguste, geb. von der Beck] zum ersten Male im Anfang der dreißiger Jahre besuchte und wohin sie dann weit über dreißig Mal gekommen ist. Diese Reisen waren jedes Mal ein Ereignis, denn Norderney war noch ein kleines Fischerdorf ohne Hotels und Gaststätten, so daß die Kurgäste auf ein Wohnen bei den Insulanern angewiesen waren und alles Nötige an Betten usw. mitbringen mußten. Zudem erfolgten die Reisen wenigstens in der ersten Zeit mit eigenem Wagen. Auf die möglichst hohen Leiterwagen wurden die Sachen gepackt, und oben darauf thronten die Menschen.

Zur Zeit der Ebbe fuhren die Wagen durch das Wattenmeer an der gleichen Stelle, an der auch die Post ihren Weg dahin nahm. Später erfolgten die Reisen im Segelschiff und dann mit dem Bremer Raddampfer "Roland", der aber bei dem Fehlen einer Landungsbrücke in Norderney nicht anlegen konnte, so daß die Fahrgäste auf Leichter übergingen und schließlich von Wagen mit sehr hohen Rädern, die also ziemlich weit ins Wasser fahren konnten, an Land befördert wurden. Dies habe ich selbst erlebt.

In Norderney traf sich stets ein größerer Teil des hannoverschen Adels und der königlichen Familie. Im Conversationshaus wurde "Table d'hote" [gemeinsame Gasthaustafel] gegessen. Eine Schwester meiner Großmutter war verheiratet an einen Major Dodt, und da ich mir unter "table d'hote" nichts vorstellen konnte, verstand ich, meine Mutter ginge zur "Tante Dodt"."
 

Baden in der Nordsee
im 19. Jahrhundert

Badewagen

"Gebadet wurde selbstverständlich streng getrennt nach Geschlechtern, die Damen am Damenstrand und die Herren am Herrenstrand, die weit voneinander entfernt waren. Während der Badezeiten war auf der Marienhöhe und auf der Georgshöhe eine Fahne aufgezogen; das bedeutete, daß ein Weitergehen für Herren an der Marienhöhe und für Damen an der Georgshöhe verboten war. Das Baden selbst erfolgte aus Badekutschen. Vierrädrige vollständig geschlossene Kabinen nur mit einer Tür dienten zum Auskleiden, d.h. die Damen zogen ein Badehemd an, das bis auf die Knöchel reichte und bis an den Hals geschlossen war. Die Badekutsche wurde ins Wasser gezogen und eine vor der Tür angebrachte Markise bis aufs Wasser heruntergelassen. Dann stieg die Dame aus der Kutsche ins Wasser, wo sie von einer Badefrau durch Begießen mit einem Eimer Wasser begrüßt wurde, um dann drei Wellen über sich hinweggehen zu lassen. Ein längeres Baden galt als gesundheitsschädlich. So habe auch ich in Norderney mit meiner Mutter gebadet. Als ich später mit meiner Frau auch einmal in Norderney war, fehlten die Markisen an der Badekutsche, was meine Mutter, die sehr prüde war, veranlaßte, ihrer Entrüstung Ausdruck zu geben durch die Worte: "Das haben die Preußen getan!"

In Norderney war es auch, wo sich die Eltern kennerlernten. Als viel später einmal meine ganze Familie gleichzeitig mit den Eltern in Norderney war, hat meine Mutter ihre ganze Verlobungsgeschichte meiner Frau auf der Marienhöhe erzählt."
 
 
 

Erstellt am : 23.01.2002
Last Update : 23.01.2002